von Christian Sobeck

Das Stadtarchiv Zeulenroda ist durch das dort aufbewahrte Archivgut der wichtigste Erinnerungsort der Stadt Zeulenroda-Triebes. Es birgt die historische Überlieferung der Stadt, für deren Sicherheit wir Heutigen für künftige Generationen die Verantwortung tragen. Die Benutzung des Stadtarchivs steht allen Bürgerinnen und Bürgern offen, denn dieses Archiv gehört schließlich den Einwohnern von Zeulenroda-Triebes. Doch vor dem Hintergrund des dramatisch desolaten baulichen Zustandes und der daraus resultierenden Lagerungsbedingungen im Stadtarchiv Zeulenroda muß man sich die Frage stellen, ob wir heute Lebenden die zukünftigen Generationen nicht von ihrer eigenen Geschichte abzuschneiden.
In chronologischer Hinsicht setzten die Bestände des Stadtarchivs Zeulenroda mit dem Stadtbrief von 1438 ein.  Dieser Stadtbrief erhob das einstige Dorf Zeulenroda zu einer Stadt im juristischen Sinne.  Er ist im Original erhalten und bildet das älteste Stück im Bestand des Stadtarchivs. Kaum eine andere Stadt in Thüringen und nur wenige in Deutschland können von sich behaupten, ihren originalen Stadtbrief noch zu besitzen und damit den Beginn ihrer urbanen Geschichte auf Jahr und Tag genau zu kennen. Dieser Stadtbrief ist eines der zentralen Alleinstellungsmerkmale unseres Stadtarchives – er ist nicht das einzige.

Weitere Schwerpunkte der Überlieferung des Stadtarchivs bilden die Städtische Finanzüberlieferung sowie die Stadtratsprotokolle. Die Finanzüberlieferung ist nur wenig jünger als der Stadtbrief. Dieser Bestand setzt im Jahre 1579 ein. Die Stadtratsprotokolle – also die schriftliche Überlieferung der Arbeit des Zeulenrodaer Stadtrates – setzen 1683 ein und sind bis 2012 nahezu lückenlos überliefert. Das sind fast 330 Jahre städtische Überlieferung. Und um Missverständnissen gleich vorzubeugen: die Stadtratsprotokolle der Jahre nach 2012 sind natürlich auch lückenlos überliefert, aber sie befinden sich noch nicht im Stadtarchiv. Diese seriell überlieferten Bestände von Städtischen Schriftgut – der Finanzüberlieferung sowie der Stadtratsprotokolle – bilden durch ihre Geschlossenheit ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Stadtarchives.

 

Weitere zentrale Bestände sind die historische rund 35.000 Stück umfassende Photosammlung, die Zeitungssammlung sowie die Ratsbibliothek. Der ältere Teil der Photosammlung geht auf die Zeulenrodaer Photographenfamilie Freytag zurück. Die Firma Freytag war ein familiengeführtes Zeulenrodaer Photografenatelier, dessen Inhaber in den 1860er bis 1950er Jahren ca. 5.000 Photos mit Zeulenrodaer Stadtansichten schufen.  Einen zweiten großen Photobestand bilden die rund 30.000 Bilder umfassende Photoschenkung, die Dr. Heinz Frotscher dem Stadtarchiv 2015 übergab und die die Stadt als thematischen Schwerpunkt hat. Die über 35.000 historischen Photos setzen um die Mitte der 1860er Jahre ein. Damit stammt ein großer Teil dieser Bilder aus der Frühzeit der Photographie. Durch die Photoschenkung von Dr. Heinz Frotscher berührt sie in chronologischer Sicht auch die jüngste Vergangenheit. Die Zeitungssammlung umfaßt bis auf einzelne Fehlstücke die gesamte seit 1848 in Zeulenroda erschienen Lokalpresse. Sie wird nach wie vor geführt und ist seit 2013 das einzige Zeitungsarchiv in Zeulenroda, denn auch die Lokalpresse selbst sammelt nicht mehr in gebundenen Jahrgängen.
Die Ratsbibliothek umfaßt einen wertvollen Bestand historischer Bücher. Teile der medizin-historischen Sammlung der Ratsbibliothek wurden in einer Ausstellung 2010 der Öffentlichkeit präsentiert. Aufgrund der Bedeutung der in Zeulenroda präsentierten Bücher konnten damals das Karl-Sudhoff-Institut in Leipzig sowie die Charite in Berlin gewonnen werden, sich an dieser Ausstellung zu beteiligen. Gäste aus ganz Deutschland und sogar der Schweiz kamen in unsere Stadt um diese Ausstellung zu sehen.

Das bedeutende Zeulenrodaer Archivgut existiert nur deshalb bis zum heutigen Tage, weil engagierte Bürger der Stadt dieses Archiv immer wieder retteten. Zwei der wichtigsten sind hier zu nennen: Zum einen den ehemaligen Ratsherren Christian Oberreuter – ein Angehöriger der heute noch in Zeulenroda ansässigen Buchdrucker- und Buchbinderdynastie – der während des Stadtbrandes von 1790 das Archivgut der Stadt auf eine Schubkarre lud und in mehreren Landungen aus der brennenden Stadt in Sicherheit brachte. Als er in die Stadt zurückkehrte war sein eigenes Haus abgebrannt. Der zweite große Retter war der ehemalige Bürgermeister Johann Gottlieb Stemler, der 1849 das Archiv vor der Vernichtung bewahrte, nachdem große Teile der Sammlung durch die Einführung der neuen Stadtordnung ihre rechtsbeweisende Funktion verloren hatten und das Archiv zum rein historischen Archiv wurde. Auch der bedeutendste Zeulenrodaer Stadtarchivar darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Es ist Friedrich Lorenz Schmidt, der die in vier Teilen erschienen Stadtgeschichte Zeulenrodas verfaßte. In Anbetracht des Wertes seiner stadtgeschichtlichen Darstellung wurde er 1969 von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit der Leibnitz-Medaille ausgezeichnet. Ohne die vorzügliche Überlieferung im Stadtarchiv Zeulenroda hätte er seine Forschungen aber niemals auf diesem hohen Niveau betreiben können. Einer Erwähnung bedarf auch Roland Lange, der das Archiv von 1969-1977 und von 1992-1999 als Stadtarchivar sowie von 1978-1984 als Kreisarchivar leitet. Er brachte das Stadtarchiv in die bis heute mustergültige Ordnung.
Das Gebäude, welches heute die Räume des Stadtarchivs Zeulenroda beherbergt, wurde 1929 als Stadtbücherei errichtet. In seiner architektonischen Formensprache repräsentiert das Gebäude den nüchtern funktionalen Zweckbau im Stile der Neuen Sachlichkeit.

1952 wurde das Gebäude zum Stadtarchiv umfunktioniert. Dabei wurde das originale Interieur entfernt und das Gebäude mit Regalen und Möbeln der Sprelacart-Ära bis zur Unkenntlichkeit seiner einstigen Schönheit verstellt. Wirkliche Umbaumaßnahmen aber - wie etwa das Entfernen der originalen Wände oder der Einbau neuer Wände - fanden glücklicherweise nicht statt. Selbst die originale farbliche Fassung der Räume wurde in großen Teilen belassen. Nach der völlig kenntnis- und stillosen Umfunktionierung zum Stadtarchiv konnten sich große Teile der originalen Inneneinrichtung des Gebäudes in den Magazinen des Städtischen Museums erhalten. Jenes Interieur könnte bei seiner Wiedernutzung das Stadtarchiv Zeulenroda zu einem Höhepunkt der Architektur der 1920er Jahre in Zeulenroda werden lassen.

Top